2006
In einem russischen Zug
August 2006


In einem russischen Zug

Dieses Erlebnis auf einer 20-stündigen Zugfahrt durch Russland stärkte zumindest ein Zeugnis.

Als ich als ehrenamtliche Englischlehrerin nach Russland ging, sprach ich nur wenig Russisch. Doch als ich unter dem russischen Volk lebte, wuchs in mir der Wunsch, diesen Menschen das Evangelium nahe zu bringen. Also strengte ich mich noch mehr an, die Sprache zu erlernen.

Als Erstes las ich eine Kinderausgabe des Buches Mormon auf Russisch. Bewaffnet mit einem russisch-englischen Wörterbuch kämpfte ich mich jeden Tag durch ein Kapitel, wobei ich fast jedes Wort nachschlagen musste. Dann brachte ich mir bei, auf Russisch zu beten, kam mir aber recht töricht vor, wenn ich die fremden Worte stammelte. Schließlich lernte ich, mein Zeugnis zu geben. Zur Übung schrieb ich es auch in mein Tagebuch. Ich brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Russisch schwer zu lernen war.

Als ich schon beinahe drei Monate in Ufa verbracht hatte, plante ich gemeinsam mit einer anderen Englischlehrerin eine Reise in die weit entfernte Stadt Saratow. Am Bahnhof erwartete uns eine wunderbare Familie, Mitglieder der Kirche, die uns herzlich empfingen und zu sich nach Hause einluden. Bald war unser Besuch zu Ende und wir saßen wieder im Zug, um die 20-stündige Rückfahrt nach Ufa anzutreten.

In unserem kleinen Abteil saßen noch zwei Geschäftsleute, die uns etwas nervös machten. Sie waren jedoch sehr höflich, sodass wir uns bald sicher fühlten.

Bei unserer Abfahrt in Saratow hatte uns die Familie, die wir besucht hatten, erklärt, wie wichtig unser Beispiel sei. Sie hatte gesagt: „Vergessen Sie nicht, dass jeder Sie beobachtet. Jeder.“ Sie hatte uns ein paar Missionarsbroschüren gegeben und uns aufgefordert, sie an jemanden weiterzugeben, ehe wir nach Hause kamen. Unschlüssig betrachtete ich die beiden Männer, die uns gegenübersaßen. Ich seufzte und war sicher, dass sie wohl nicht interessiert waren.

Doch als ich meine heiligen Schriften herausnahm und darin las, wurden die Männer neugierig und stellten mir Fragen. Wir gaben ihnen die Broschüren, und sie lasen sie.

Später holte ich mein Tagebuch hervor und begann zu schreiben. Die Männer fragten, warum ich nicht auf Russisch schrieb, also zeigte ich ihnen, dass ich es oft tat. Auf den Seiten, die ich ihnen zeigte, stand mein Zeugnis. Sie wollten es gern lesen, und ich willigte ein. Sie schlugen auch neugierig das russische Buch Mormon auf, das ich ihnen gab. Als sie Fragen stellten, hatte ich das Gefühl, der Raum würde bersten von dem Geist, der ihn erfüllte. Einer der Männer fragte mich, ob ich im Herzen „das Feuer“ spüren konnte, das er spürte, und fragte, ob ich wisse, was das sei. In gebrochenem Russisch erklärte ich, dass das der Heilige Geist war.

Ich forderte ihn auf, 3 Nephi 11 zu lesen. Als wir vom Wirken des Erretters auf dem amerikanischen Kontinent lasen, traten ihm Tränen in die Augen. Er hörte auf zu lesen und fragte leise: „Liebt Jesus Christus mich, wie er diese Menschen geliebt hat?“

Mit Tränen in den Augen antwortete ich: „Ja, er kennt Sie und er liebt Sie. Deshalb möchte er, dass Sie die Wahrheit über sein Evangelium erfahren.“ Er sah mich einen Augenblick lang an und senkte dann die Augen, um weiterzulesen. Als wir in Ufa ankamen, gaben wir ihm die Telefonnummer der Missionare.

Auf einer 20-stündigen Zugfahrt lernte ich, dass ich keine Vollzeitmissionarin sein muss, um dem Herrn zu dienen und sein Evangelium zu verbreiten. Ich weiß nicht, ob der kleine Same, der an diesem Abend gepflanzt wurde, gewachsen ist. Aber ich weiß, dass ein Wunder geschehen ist. Ich wurde bekehrt, selbst wenn diese Männer sich nicht bekehrten.