2019
Anderen helfen, vom Herrn geheilt zu werden
Juni 2019


Anderen helfen, vom Herrn geheilt zu werden

Die Verfasserin lebt in Utah.

In gewisser Weise wirken wir selbst als Heiler, wenn wir dazu beitragen, die heilenden Segnungen des Herrn denjenigen zu bringen, die körperlich, seelisch und geistig leiden.

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painting of woman with hands up

Die Befreiung, Gemälde von Jenedy Paige, Vervielfältigung untersagt

An einem Sonntag las ich diese Schriftstelle: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Dies ist mein Evangelium; und ihr wisst, was ihr in meiner Kirche tun müsst; denn die Werke, die ihr mich habt tun sehen, die sollt ihr auch tun.“ (3 Nephi 27:21; Hervorhebung hinzugefügt.)

„Worin bestanden denn die Werke Christi auf Erden?“, dachte ich bei mir. Mir fiel hauptsächlich zweierlei ein: dienen und heilen. Anderen dienen konnte ich ja, aber konnte ich andere heilen? Das konnte ich natürlich nicht – oder etwa doch?

Ich hatte erst vor kurzem eine Operation und gleich danach eine schwere allergische Reaktion überstanden. Sofort fielen mir all diejenigen ein, die mir bei der Genesung geholfen hatten – und das waren nicht wenige! Sie hatten mir geholfen, geheilt zu werden. Hieß das also nicht, dass ich dasselbe für andere tun konnte?

Jeder von uns kann anderen heilend beistehen.1 Um uns herum sind Menschen, die in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht leiden und denen unsere Hilfe ein Segen wäre.

Die Kranken besuchen

In Mosia 4:26 steht: „Ich [möchte,] dass ihr eure Habe mit den Armen teilt, ein jeder gemäß dem, was er hat, wie die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, die Kranken zu besuchen und ihnen Hilfe zuteilwerden lassen, geistig ebenso wie zeitlich, gemäß ihren Bedürfnissen.“

Krankheit – sei sie körperlicher, seelischer oder geistiger Art – kann zu Isolation führen. Kranke verbringen viele einsame Stunden in ihrem Schlafzimmer oder im Krankenhaus, und leicht werden sie dabei depressiv. Der Besuch eines mitfühlenden Freundes oder Angehörigen kann wie ein Sonnenstrahl in immer bedrückender werdender Finsternis sein.

Wie wir einen Kranken besuchen, kann auch wichtig sein. Mehrere Frauen sind auf meine Frage eingegangen, wodurch ihnen bei der Genesung geholfen wurde. Judi aus Arizona meinte: „In schweren Zeiten ist es eine große Hilfe, wenn jemand zuhört – zuhört und dabei nicht urteilt.“ Man kann einen Kranken also unterstützen, indem man geduldig, aufrichtig und liebevoll zuhört.

Linda aus Kalifornien hat erzählt, wie gut ihr die Besuche einer Freundin taten: „Ich erinnere mich an die besonderen Leute in meinem Leben – vor allem an diejenigen, die mir wirklich zuhörten und den wohltuenden Rat des Geistes übermittelten. Als ich im Alter von 30 Jahren als Mutter von fünf kleinen Kindern zur Witwe wurde, konnte ich die Liebe des Vaters im Himmel und des Erretters dank meiner guten Freundin Karen deutlicher verspüren. Sie achtete immer darauf, was ich brauchte, und war bereit, mir zuzuhören. Ich fühlte mich nie allein, weil sie mich ständig an die wundervolle Verbindung erinnerte, die ich als Tochter Gottes zu ihm habe.“

Besonders als betreuende Brüder und Schwestern können wir anderen heilend beistehen. Es ist wichtig, sich auf die Bedürfnisse derjenigen, die leiden, einzustimmen. Manchmal sollte ein Besuch kurz gehalten werden, weil der Besuchte sehr müde ist. Manchmal ist er hingegen einsam und langweilt sich, und ein längerer Besuch tut ihm gut. Es ist auch wichtig, auf die Persönlichkeit des Kranken Rücksicht zu nehmen. Manche wollen sich zurückziehen und brauchen Ruhe, während andere viel Kontakt und Zuwendung suchen. Wir sollten zuerst feststellen, was gebraucht wird, und dann entsprechend handeln.

Des anderen Last tragen

Alma hat unsere Verpflichtung, dem Beispiel des Erretters zu folgen, im Buch Mormon wortgewandt beschrieben: Er fragte die Gläubigen, ob sie willens seien, „in die Herde Gottes zu kommen und sein Volk genannt zu werden, und willens [seien,] des anderen Last zu tragen, damit sie leicht sei“ (Mosia 18:8).

Jeder von uns hat allerart Lasten zu tragen. Besonders schwer wiegen sie dann, wenn wir körperlich oder seelisch krank sind oder geistige Probleme haben. Wir können jemandem, der leidet, heilend beistehen und helfen, seine Lasten zu tragen.

Shannon aus Utah hat erzählt, wie ihre Nachbarn ihr halfen: „An dem Tag, als unser kleiner Sohn bestattet wurde, kamen wir vom Friedhof zurück und stellten fest, dass all unsere Nachbarn in den Stunden, in denen wir bei der Beerdigung waren, zusammengekommen waren und unseren Garten komplett neu gestaltet hatten. Sie hatten schöne Büsche, Bäume und Blumen gepflanzt und sogar neuen Rasen gelegt. Inmitten unseres unvorstellbaren Kummers setzte dieser fürsorgliche Beweis ihrer Liebe und Unterstützung bei uns den Heilungsprozess in Gang. Jedes Jahr, wenn unser schöner Garten wieder zum Leben erwachte, wurden wir daran erinnert, dass Liebe und das Leben ewig sind. [Es war] wirklich ein heiliges Erlebnis voll symbolischer Bedeutung, das ich nie vergessen werde.“

Als bei mir Brustkrebs festgestellt wurde, war ich gerade FHV-Leiterin und hatte mich zur Wiederwahl in den Stadtrat aufstellen lassen. Mein Mann hatte seine Arbeit verloren, und wir machten in dieser Zeit noch viele weitere schwierige Prüfungen durch. Meine Ratgeberinnen nahmen sich die Aufforderung, des anderen Last zu tragen, zu Herzen und halfen mir, meine Last auf andere zu verteilen. Der Bischof übernahm einige meiner Pflichten. Mein Mann kümmerte sich oft um das Kochen und den Haushalt. Es stimmte mich demütig zu sehen, wie meine Last zwar nicht von mir genommen, aber stattdessen auf viele, viele andere Menschen verteilt wurde, die mir heilend beistanden.

Trösten

Alma erklärte auch, dass die Nachfolger Christi willens sind, „mit den Trauernden zu trauern … und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen“ (Mosia 18:9).

Trost zu spenden erfordert Mitgefühl, Freundlichkeit, Rücksichtnahme, Anteilnahme, Liebe und Nächstenliebe. Es bedeutet, dass man die Kranken oder Leidenden liebevoll in die Arme nimmt und ihnen hilft, ihr Leiden zu ertragen.

Luann (Name geändert) machte einmal eine Phase geistiger und moralischer Probleme durch. Sie erklärt, wodurch andere sie trösteten: „Sie sahen darüber hinweg, wer ich damals war, und nahmen stattdessen mein vielversprechendes Potenzial wahr – das Potenzial, besser, weiser und liebenswürdiger zu werden. Wenn ich manchmal zurückschaue, ist mir meine Ahnungslosigkeit von damals immer noch etwas peinlich – ich schäme mich noch ein bisschen für meine Übertretungen und Sünden. Doch auf die heiße Scham folgt immer der heilende Balsam der Gnade, Barmherzigkeit, Vergebung und Liebe. Wenn ich daran denke, dass ich von Leuten umgeben war, die mich mit all dem überhäuften, dann vergeht der Schmerz. Ich habe erkannt, dass sie mir geholfen haben, geheilt zu werden. Vielleicht sollte ich treffender sagen, dass sie ein sicheres Umfeld für mich geschaffen haben – quasi einen Schutzschild der Gnade –, in dem der Erretter, der größte aller Heiler, eine Veränderung, eine Herzenswandlung in mir bewirken konnte.“

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painting of Christ with children

Ausschnitt aus dem Gemälde Balsam aus Gilead von Annie Henrie Nader

Wenn wir Kranke trösten, ist es wichtig, dass wir ihnen helfen, sich dem größten aller Heiler zuzuwenden. Sabrina aus Utah erklärt: „Die beste Heilung erfahren wir, wenn man uns hilft, Gott zu finden oder uns ihm wieder zuzuwenden. Manchmal reicht es vielleicht schon, wenn man an etwas erinnert wird, was man eigentlich schon weiß – dass man gerade stärker sein will als nötig, alles allein zu regeln versucht und sich dabei nicht richtig auf Gott verlässt.“

Man muss für den Geist empfänglich sein, wenn man die Kranken trösten und ihnen helfen will, optimistisch zu sein. Ich konnte einmal monatelang nicht richtig schlafen. Meistens schlief ich jede Nacht im Schnitt nur um die zwei, drei Stunden, und selbst dann wachte ich zwischendurch auf. Ich litt unter Angstzuständen und Erschöpfung und suchte viele Ärzte auf, doch keiner konnte mir helfen. Endlich empfahl mir eine Freundin einen Arzt, der Mitglied der Kirche war und rasch die richtige Diagnose stellte. Doch was er dann zu mir sagte, überraschte mich: „Merrilee, am wichtigsten ist, dass du deine Angstzustände in Gottes Hände legst.“ Dann riet er mir, jeden Tag ein paar Minuten lang in der Erklärung Der lebendige Christus – das Zeugnis der Apostel zu lesen und darüber nachzudenken.

Ich hatte diese Art der Meditation schon ein paar Mal ausprobiert, ohne dass es mir genützt hatte, doch ich wollte unbedingt geheilt werden. Tags darauf dachte ich also im Stillen über diese eindrucksvollen Worte nach: „[Wir] geben Zeugnis von der Wirklichkeit seines unvergleichlichen Lebens und der unendlichen Macht seines großen Sühnopfers.“2 Ich war von Freude erfüllt, als ich anfing, über das Zeugnis für unseren großen Heiler nachzudenken, und ich wusste, dass meine Seele Trost und Frieden empfangen hatte.

Aufmerksam sein

Wenn wir uns in die heiligen Schriften vertiefen, damit wir dem Herrn in seinem heilsamen Wirken nacheifern können, lesen wir, wie Jesus eines immer wieder tat: Er achtete auf die Menschen in seinem Umfeld.

Christus bemerkte andere. Allen kulturellen Normen zum Trotz sprach Jesus mit der Samariterin. Er nahm sich Zeit, die Kinder zu segnen. Er speiste mit Zöllnern und Sündern und half Aussätzigen und Ausgestoßenen. Er schenkte jedem seine Aufmerksamkeit.

Als Nachfolger Christi, die von ihm lernen möchten, wie man jemandem heilend beisteht, können wir darangehen, andere mit den Augen Christi zu sehen. Wir können uns die Zeit nehmen, sie zu begrüßen, zu lächeln und sie zu fragen, wie es ihnen geht. Oft wissen wir nicht einmal, dass das, was wir tun, für unsere einsamen, niedergeschlagenen, kranken, schwachen oder leidenden Mitmenschen wie ein heilender Balsam ist. Selbst einfache, liebevolle Taten können eine große Wirkung haben.

Wenn wir die Werke Christi tun und zur Heilung anderer Menschen beitragen, wird dies große Segnungen zur Folge haben. Christus hat gesagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25:40.) Wir können ihm, der jeden von uns geheilt hat, uns unzählige Male liebevoll in die Arme genommen hat und uns den heilenden Balsam seines Sühnopfers anbietet, unsere kleinen Bemühungen darbringen, mit denen wir zur Heilung unserer Brüder und Schwestern beitragen. Damit stehen wir anderen wirklich heilend bei.

Anmerkungen

  1. Siehe „Herr, ich will folgen dir“, Gesangbuch, Nr. 148

  2. „Der lebendige Christus – das Zeugnis der Apostel“, Liahona, Mai 2017, Umschlaginnenseite vorn