Geschichte der Kirche
Fanny Alger


„Fanny Alger“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

„Fanny Alger“

Fanny Alger

Fanny Alger kam 1816 als Tochter von Samuel Alger und seiner Frau Clarissa zur Welt. Sie schloss sich gemeinsam mit ihrer Familie Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts der Kirche an und arbeitete als Haushaltshilfe bei Joseph Smith in Kirtland in Ohio.1 Mehrere Heilige der Letzten Tage, die in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Kirtland lebten, berichteten später, dass Fanny Alger Joseph Smith heiratete und die erste Frau war, mit der er die Mehrehe einging.2 Die Ehe war offenbar von kurzer Dauer. Fanny verließ Ohio 1836 mit ihren Eltern. Auf dem Weg nach Missouri kamen sie in Dublin in Indiana offenbar in einem Gasthaus unter, das der Familie von Solomon Custer gehörte.3 Binnen weniger Monate heiratete Fanny Solomon.4 Sie blieb in Dublin, während ihre Eltern nach Far West in Missouri weiterzogen. Fannys Familie folgte dem Großteil der Heiligen von Missouri nach Illinois und ließ sich schließlich im Süden Utahs nieder. Als Fannys Vater, der Patriarch war, in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts verstarb, wurde seine Familie in seinem Nachruf für ihre Glaubenstreue gelobt.5

Fanny und Solomon hatten neun Kinder, von denen nur zwei Fanny überlebten. Die Familie Custer führte in Dublin einen Lebensmittelladen und investierte in ein Sägewerk im nahegelegenen Lewisville.6 Als die finanzielle Lage sich zuspitzte, zog die Familie nach Lewisville, und Solomon versuchte, das Sägewerk zu verkaufen, musste jedoch schließlich Insolvenz anmelden.7 Fanny und Solomon zogen zurück nach Dublin, wo sie bis zu Solomons Tod 1885 blieben.8

Fanny und Solomon besuchten die Gemeinde der Universalist Church am Ort, die Solomons Vater mitbegründet hatte. In fortgeschrittenem Alter neigte Fanny auch dem Spiritismus zu.9 Nach Solomons Tod zog Fanny nach Indianapolis, wo sie bei ihrem Sohn Lafayette wohnte. Sie verstarb 1889 und wurde in Dublin neben Solomon auf einem Stück Land begraben, das er als Kind gerodet hatte.10

Beziehung zu Joseph Smith

Über die Ehe von Joseph Smith und Fanny Alger ist sehr wenig bekannt. Die frühsten Quellen tauchten 1837 nach dem Zusammenbruch der Kirtland Safety Society auf, einem von Joseph Smith, Sidney Rigdon und weiteren Mitgliedern der Kirche gegründeten Finanzinstitut. Ärgerliche Investoren und Gegner der Kirche in Kirtland brachten viele Gerüchte über Joseph in Umlauf, unter anderem auch den Vorwurf des Ehebruchs. Einige Gerüchte sollen von Oliver Cowdery ausgegangen sein, dessen vormals gute Freundschaft mit Joseph infolge einer Reihe von Angelegenheiten gelitten hatte. Einige behaupteten, Oliver habe gehört, dass Joseph eine außereheliche Beziehung mit Fanny zugegeben habe.11 Im Herbst 1837 konfrontierte Joseph Smith Cowdery diesbezüglich bei einer Versammlung, bei der mindestens drei weitere Zeugen anwesend waren. Bei der Versammlung wies Cowdery das Gerücht zurück, Joseph hätte es ihm gegenüber zugegeben.12 Als man Cowdery im darauffolgenden April in Missouri aufgrund vieler Vorwürfe vor den Hoherat stellte, um über seine Mitgliedschaft zu befinden, wurden dort die Gerüchte besprochen, die Cowdery verbreitet hatte. Joseph gab eine Erklärung über seine Beziehung zu Fanny ab, die den Hoherat offenbar zufriedenstellte.13 Cowdery wurde bei der Zusammenkunft aus der Kirche ausgeschlossen.

Außer einem erwiesenen Besuch bei ihrer Familie, die dem Zweig der Kirche in Lima in Illinois angehörte, Anfang der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts, ist Fannys Name 30 Jahre lang in keinerlei Aufzeichnungen von Heiligen der Letzten Tage zu finden.14 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts heißt es in einer Handvoll Aussagen von Heiligen der Letzten Tage und ehemaligen Mitgliedern der Kirche, die Beziehung zwischen Joseph Smith und Fanny Alger sei eine der ersten Mehrehen gewesen.15 Eliza R. Snow, eine der Ehefrauen Joseph Smiths, nahm Fanny einfach in eine Liste seiner Ehefrauen auf.16 1896 beschrieb Mosiah Hancock – und 1903 Benjamin F. Johnson – Fannys Beziehung zu Joseph als eine Mehrehe, die diskret behandelt wurde. Hancock berichtete von einer privaten Ehesiegelung, die von Hancocks Vater in Kirtland durchgeführt worden sei. Laut Johnson wurde Fanny zu ihrer Beziehung zu Joseph befragt, weigerte sich jedoch, darüber zu sprechen.17

Auch wenn die Heiligen der Letzten Tage nur wenig über die Einführung und die Ausübung der Mehrehe in der Anfangszeit der Kirche wissen, respektieren sie den Glauben der damaligen Mitglieder der Kirche, die Opfer brachten, um dieses schwierige Gebot zu befolgen.

Anmerkungen

  1. Brian C. Hales, Joseph Smith’s Polygamy, 3 Bände, Greg Kofford Books, Salt Lake City 2013, 1:103f. In späteren Berichten wurde sie „Francis“ oder „Francis Ward“ genannt, doch diese sind nicht durch Primärquellen bestätigt. In Quellen aus erster Hand wird nur „Fanny“ oder „Fanny W.“ verwendet. Beispielsweise wird sie in ihrem Nachruf und auf ihrem Grabstein „Fanny W Custer“ genannt. („Dublin Items“, Cambridge City Tribune, 25. Jahrgang, Nr. 34, 5. Dezember 1889, Seite 2; Grabstein von Mary Clarissa Custer, Solomon Custer und Fanny W Custer, South-Lawn-Friedhof, Dublin, Kreis Wayne/Indiana.)

  2. Joseph Smith und Fanny Alger hatten keine Kinder. Eine nicht namentlich genannte Person behauptete, von einem angeblichen Sohn von Fanny und Joseph namens Orrison (womöglich Orson) Smith Custer abzustammen, doch ein DNA-Test hat gezeigt, dass Joseph Smith als Vorfahre des Betreffenden ausgeschlossen werden kann. Es gibt keinerlei weitere Nachweise, dass es zu Fannys Lebzeiten einen Orrison Smith Custer in den Vereinigten Staaten gegeben hat. (Ugo A. Perego, Natalie M. Myres und Scott R. Woodward, „Reconstructing the Y-Chromosome of Joseph Smith: Genealogical Applications“, Journal of Mormon History, 31. Jahrgang, Nr. 2, Herbst 2005, Seite 42–60.)

  3. Samuel Huddleston, „‚Old Wayne‘, and Her Pioneers“, Evening Item, Richmond/Indiana, 7. Jahrgang, Nr. 57, 8. März 1883, Seite 3

  4. Marriage Record, Indiana Marriages, 1811–2007, FamilySearch.org

  5. Nachruf von Samuel Alger Sr., in: Deseret Evening News, 7. Jahrgang, Nr. 268, 6. Oktober 1874, Seite 3

  6. Andrew W. Young, History of Wayne County, Indiana, From Its First Settlement to the Present Time; With Numerous Biographical and Family Sketches, Robert Clarke, Cincinnati 1872, Seite 265f.

  7. „For Sale or Trade!“, New Castle Courier, 31. Jahrgang, Nr. 36, 8. September 1871, Seite 2; New Castle Mercury, 13. Jahrgang, 12. Januar 1878, Seite 3; „In Bankruptcy: In the District Court of the United States, for the District of Indiana, In the Matter of Solomon F. Custer“, Indianapolis Journal, 20. März 1878, Seite 7

  8. Solomon Custer, in: Tenth Census of the United States, 1880

  9. Der Spiritismus war zu der Zeit sehr beliebt. Die Anhänger dieser Bewegung glaubten, dass Menschen mit der Geisterwelt kommunizieren können. Fanny beschrieb selbst mehrere Erlebnisse dieser Art. Ein solcher Bericht erschien in einer lokalen Zeitung. „Local Matters“, Hagerstown Exponent, 7. Jahrgang, Nr. 9, 2. August 1882, Seite 3; siehe auch „Dublin Items“, Cambridge City Tribune, 25. Jahrgang, Nr. 34, 5. Dezember 1889, Seite 2.

  10. Indiana Death Index, 1882–1920, FamilySearch.org; R. L. Polk Co.’s Ortsverzeichnis von Indianapolis von 1887, R. L. Polk, Indianapolis 1887, Seite 250; „Dublin Items“, Cambridge City Tribune, 1889, Seite 2; Grabstein von Mary Clarissa Custer, Solomon Custer und Fanny W Custer, South-Lawn-Friedhof; „Dublin News“, Cambridge City Tribune, 20. Jahrgang, Nr. 50, 2. April 1885, Seite 2

  11. High Council minutes, Apr. 12, 1838, in: Minute Book 2, Seite 122f., josephsmithpapers.org

  12. Joseph Smith, „History, 1838–1856, vol. B-1 [1 September 1834–2 November 1838]“, Seite 775, josephsmithpapers.org; Brief von Oliver Cowdery an Warren A. Cowdery, 21. Januar 1838, Oliver Cowdery Letterbook, 1833–1838, Henry E. Huntington Library, San Marino/Kalifornien; Thomas B. Marsh, „Letter from Thomas B. Marsh, 15 February 1838“, in: Elder’s Journal, Juli 1838, Seite 45f., josephsmithpapers.org; Brief von Oliver Cowdery an Joseph Smith, 21. Januar 1838, Oliver Cowdery Letterbook, 1833–1838, Henry E. Huntington Library, San Marino/Kalifornien

  13. Im Sitzungsprotokoll sind Josephs genaue Worte an den Hoherat nicht vermerkt. Siehe High Council minutes, Apr. 1838, in: Minute Book 2, Seite 118–126.

  14. James C. Snow record book, 1840–1851, Seite 6f., Church History Library, Salt Lake City; siehe auch Brian C. Hales, „Historical Accounts Referring to a Relationship between Joseph Smith and Fanny Alger“, Tabelle 4.1, in: Hales, Joseph Smith’s Polygamy, 1:94f.

  15. Hales, Joseph Smith’s Polygamy, 2:372–378

  16. Hales, Joseph Smith’s Polygamy, 1:111–116

  17. Mosiah Hancock, Reminiscence, 1896, in: Levi Hancock, „Autobiography of Levi Ward Hancock, circa 1896“, Teil 3, 6. Juni 1986, Seite 63f., Church History Library, Salt Lake City; Benjamin F. Johnson letter to George F. Gibbs, April–October 1903, Seite 26f., Church History Library, Salt Lake City. Sowohl Hancock, der erst zwei war, als Fanny 1836 Kirtland verließ, und Johnson verließen sich in ihren Berichten auf Quellen aus zweiter Hand (Hancock, Reminiscence, 1896, Seite 62; Brief von Johnson an George F. Gibbs, Seite 26).