Generalkonferenz
Kennzeichen des Glücklichseins
Herbst-Generalkonferenz 2023


Kennzeichen des Glücklichseins

Für unser Glücklichsein ist es unerlässlich, dass wir unsere Grundlage auf Jesus Christus bauen

Vor ein paar Jahren saß ich während eines Fluges auf einer Dienstreise neben einem Mann aus den Niederlanden. Ich wollte gern mit ihm ins Gespräch kommen, da ich als junger Missionar in Belgien und den Niederlanden tätig gewesen war.

Wir machten uns miteinander bekannt, und er gab mir seine Visitenkarte, worauf die ungewöhnliche Berufsbezeichnung „Professor für Glücklichsein“ stand.  Ich sprach ihn auf diesen erstaunlichen Beruf an und fragte ihn, was ein Professor für Glücklichsein denn mache. Er sagte, er bringe anderen bei, wie man ein glückliches Leben dadurch führen könne, dass man gute Beziehungen aufbaut und sich sinnvolle Ziele setzt. Ich erwiderte: „Das klingt ja wunderbar – aber was wäre, wenn Sie auch darauf eingehen könnten, wie solche Beziehungen über das Grab hinaus fortbestehen können, und weitere uns tief bewegende Fragen beantworten könnten, wie etwa: Was ist der Sinn des Lebens? Wie können wir unsere Schwächen überwinden? Und: Wohin gehen wir nach dem Tod?“ Er gab zu, dass es fantastisch wäre, wenn wir die Antwort auf diese Fragen hätten, und ich freute mich, ihm mitteilen zu können, dass wir diese Antwort haben.

Heute möchte ich einige wesentliche Grundsätze für wahres Glück ansprechen, die sich vielen Menschen in dieser verworrenen Welt offenbar verschließen, wo doch so vieles interessant, aber nur weniges wirklich wichtig ist.

Alma erklärte den Menschen seiner Zeit: „Denn siehe, ich sage euch, es gibt vieles, was kommen wird; und siehe, eines ist wichtiger als alles andere – denn siehe, die Zeit ist nicht fern, da der Erlöser lebt und zu seinem Volk kommt.“1

Diese Botschaft ist auch für uns heute wichtig, da wir ja das Zweite Kommen Christi erwarten und uns darauf vorbereiten.

Deshalb lautet meine erste Beobachtung: Für unser Glücklichsein ist es unerlässlich, dass wir unsere Grundlage auf Jesus Christus bauen. Das ist eine sichere Grundlage, „und wenn die Menschen auf dieser Grundlage bauen, können sie nicht fallen“2. Dadurch bereiten wir uns auf die Herausforderungen des Lebens vor – komme, was wolle.

Vor vielen Jahren nahm ich mit unserem Sohn Justin an einem Pfadfinder-Sommerlager teil. Die ersten Aktivitäten standen an, und er verkündete ganz aufgeregt, dass er und seine Freunde sich das Abzeichen im Bogenschießen verdienen wollten. Dafür mussten die Jungen einen kurzen schriftlichen Test bestehen sowie ein Ziel mit Pfeilen treffen.

Mir wurde schwer ums Herz. Justin war damals wegen Mukoviszidose bei schwacher Gesundheit. Seit seiner Geburt schon setzte diese Krankheit ihm zu. Ich fragte mich, ob er in der Lage wäre, den Bogen ausreichend zu spannen, um mit dem Pfeil das Ziel auch zu treffen.

Als er und seine Freunde sich zum Bogenschießen aufmachten, betete ich still, er möge keine Demütigung erleben. Nach einigen ungewissen Stunden sah ich, wie er den Weg entlang mit strahlendem Lächeln auf mich zukam. „Papa!“, rief er. „Ich hab das Abzeichen! Ich hab genau ins Schwarze getroffen – zwar auf der Zielscheibe nebenan, aber genau ins Schwarze!“ Er hatte den Bogen mit aller Kraft gespannt und dann den Pfeil grob Richtung Ziel geschossen, ohne die Flugkurve steuern zu können. Ich bin dem verständnisvollen Bogenschießlehrer so dankbar, dass er nicht gesagt hat: „Tut mir leid – falsche Zielscheibe!“ Vielmehr hatte er Justins offensichtliche Einschränkungen und seine großen Anstrengungen erkannt und ihn nett mit den Worten gelobt: „Gut gemacht!“

So wird es auch uns ergehen, wenn wir unser Allerbestes geben, um Christus und seinen Propheten trotz allem, was uns einschränkt, nachzufolgen. Wenn wir zum Herrn kommen, indem wir unsere Bündnisse halten und von unseren Sünden umkehren, werden wir freudevoll das Lob unseres Erretters vernehmen: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener.“3

Ich gebe Zeugnis für die Göttlichkeit des Erretters der Welt, für seine erlösende Liebe und seine Macht, uns zu heilen, zu stärken und aufzurichten, wenn wir uns ernsthaft bemühen, zu ihm zu kommen. Im Umkehrschluss dazu ist es nicht möglich, mit der Masse mitzulaufen und gleichzeitig auf Jesus zuzugehen. Der Erretter hat Tod, Krankheit und Sünde besiegt und einen Weg bereitet, wie wir vollkommen werden können, wenn wir ihm mit ganzem Herzen nachfolgen.4

Meine zweite Beobachtung lautet: Für unser Glücklichsein ist es höchst wichtig, nie zu vergessen, dass wir Söhne und Töchter eines liebevollen Vaters im Himmel sind. Das zu wissen und darauf zu vertrauen, ändert alles.

Vor einigen Jahren befanden meine Frau und ich uns nach einem Auftrag, den wir für die Kirche erfüllt hatten, auf dem Heimflug. Wir saßen hinter einem sehr großen Mann. Auf seinem kahlen Hinterkopf war ein zorniges Gesicht und die Zahl 439 eintätowiert.

Nach der Landung sagte ich: „Entschuldigen Sie bitte. Dürfte ich fragen, was es mit der eintätowierten Zahl auf Ihrem Hinterkopf auf sich hat?“ Nach dem zornigen Gesicht fragte ich lieber erst gar nicht.

Er meinte: „Das bin ich. Das macht mich aus. Mir gehört das Revier 219.“

Tatsächlich stand aber 439 auf seinem Kopf. Ich wunderte mich über diese Diskrepanz, wenn die Aussage ihm doch so wichtig war.

Ich dachte, wie traurig es doch war, dass sich die Identität und das Selbstwertgefühl dieses Mannes auf eine Zahl gründeten, die für das Revier einer Gang stand. Ich dachte bei mir: Dieser knallhart aussehende Mann war einmal ein kleiner Junge gewesen. Er sollte immer noch spüren können, dass man ihn schätzt und er dazugehört. Wüsste er doch nur, wer er wirklich ist und zu wem er wirklich gehört, denn wir alle sind ja „um einen teuren Preis … erkauft worden“5.

In einem Lied aus dem Film Der Prinz von Ägypten heißt es tiefgründig: „Dein Leben kannst du … nur vom Himmel sehn“.6 Wenn wir die Erkenntnis um unsere göttliche Abstammung und unser ewiges Potenzial wahrhaft verinnerlichen, können wir das Leben als ein sinnerfülltes, dynamisches Abenteuer betrachten, das uns lernen und wachsen lässt, auch wenn wir eine kurze Zeit lang bloß in einen Spiegel schauen und nur rätselhafte Umrisse7 sehen.

Das dritte Kennzeichen des Glücklichseins ist, immer an den Wert einer Seele zu denken. Am besten gelingt uns das, wenn wir der Aufforderung des Erretters nachkommen: „Liebt einander[, wie] ich euch geliebt habe.“8

Der Herr sagte auch: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“9

In den Sprichwörtern findet sich dieser weise Ratschlag: „Versag keine Wohltat dem, der sie braucht, wenn es in deiner Hand liegt, Gutes zu tun!“10

Wir werden es nie bedauern, zu gütig gewesen zu sein. In den Augen Gottes ist Güte gleichbedeutend mit Größe. Gütig zu sein bedeutet auch zu vergeben und nicht zu verurteilen.

Vor vielen Jahren wollte unsere damals junge Familie zum Familienabend einen Kinofilm ansehen. Bis auf einen unserer Söhne und meine Frau Valerie saßen wir alle bereits im Auto. Es war schon dunkel, und als unser Sohn die Haustür aufstieß und zum Auto rannte, trat er auf der Veranda aus Versehen gegen etwas, was er für unsere Katze hielt. Es war sein Pech und das meiner Frau, die sich direkt hinter unserem Sohn befand, dass es nicht unsere Katze, sondern ein verärgertes Stinktier war, das seinen Unmut an beiden ausließ! Wir gingen alle zurück ins Haus, wo dann beide duschten und die Haare mit Tomatensaft wuschen – dem vermeintlichen Allheilmittel gegen den Gestank von Stinktieren. Als sie fertig waren und sich umgezogen hatten, waren wir mittlerweile an den Geruch gewöhnt und dachten, es wäre okay, jetzt doch noch ins Kino zu gehen. 

Als wir ganz hinten im Saal Platz genommen hatten, beschlossen die Besucher um uns herum ganz plötzlich, in den Vorraum zu gehen und Popcorn zu kaufen. Jeder, der wiederkam, kehrte allerdings nicht an seinen ursprünglichen Platz zurück.

Wenn wir später an das Erlebnis zurückdachten, mussten wir immer darüber lachen – aber was wäre, wenn unsere Sünden einen Geruch absondern würden? Was wäre, wenn man Unehrlichkeit, Lüsternheit, Neid oder Stolz riechen könnte? Mit der Enthüllung unserer eigenen Schwächen würden wir hoffentlich etwas rücksichtsvoller und umsichtiger anderen gegenüber sein und sie uns gegenüber, während wir die notwendigen Veränderungen in unserem Leben vornehmen. Eigentlich mag ich es, wenn es in der Kirche nach Tabak riecht, denn das bedeutet, dass jemand versucht, sich zu ändern. So jemand braucht unsere herzliche Umarmung zur Begrüßung.

Präsident Russell M. Nelson hat den klugen Satz gesagt: „Eine der einfachsten Methoden, einen wahren Nachfolger Jesu Christi zu erkennen, ist, darauf zu achten, wie viel Mitgefühl er seinen Mitmenschen entgegenbringt.“11

Paulus schrieb an die Epheser: „Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.“12

Als Jünger Jesu Christi sollen wir dem Vater im Himmel und unserem Erretter vertrauen und nicht versuchen, sie zu ersetzen. Jesus Christus kennt die Schwächen eines jeden Menschen genau und wird in Vollkommenheit über ihn richten.

Mein viertes Kennzeichen des Glücklichseins besteht darin, dass man alles stets aus dem Blickwinkel der Ewigkeit betrachtet. Der Plan unseres Vaters erstreckt sich bis in die Ewigkeit, doch wie leicht kann man den Blick nur auf das Hier und Jetzt richten und das Jenseits vergessen.

Diese Lektion erteilte mir vor einigen Jahren eindrucksvoll unsere damals 16-jährige Tochter Jennifer. Sie stand kurz vor einer doppelten Lungentransplantation, bei der die fünf erkrankten Lungenlappen vollständig entfernt und durch zwei gesunde kleinere Lappen ersetzt werden sollten. Zwei bewundernswerte, christliche Freunde hatten diese gespendet. Der Eingriff war sehr riskant. Doch Jennifer, die gerade mal 40 Kilogramm wog, erklärte mir am Abend vor ihrer Operation mit großem Nachdruck: „Mach dir keine Sorgen, Papa! Morgen werde ich entweder mit neuer Lunge oder an einem besseren Ort erwachen. Beides ist schön.“ Das ist Glauben, das ist der Blick in die Ewigkeit! Wenn wir das Leben aus einem ewigen Blickwinkel betrachten, schenkt uns das Klarheit, Trost, Mut und Hoffnung.

Als nach der Operation der lang ersehnte Tag kam, an dem der Beatmungsschlauch und das Beatmungsgerät, die Jennifer zur Hilfe gehabt hatte, entfernt wurden, warteten wir angespannt, ob die beiden kleineren Lungenlappen funktionieren würden. Als sie ihren ersten Atemzug machte, fing sie sogleich an zu weinen. Angesichts unserer sorgenvollen Mienen erklärte sie schnell: „Es tut einfach so gut zu atmen.“ 

Seit diesem Tag danke ich dem Vater im Himmel morgens und abends, dass ich atmen kann. Uns umgeben so viele Segnungen, dass wir sie schnell als selbstverständlich hinnehmen könnten, wenn wir nicht auf sie achten. Andererseits wird das Leben ein einziges Wunder, wenn man nichts erwartet und alles zu schätzen weiß.

Präsident Nelson hat gesagt: „Jeder neue Morgen ist ein Geschenk Gottes. Selbst die Luft, die wir atmen, hat Gott uns voller Liebe überlassen. Er bewahrt uns Tag um Tag und stützt uns Augenblick um Augenblick. Daher sollte unsere erste edle Tat am Morgen darin bestehen, ihm demütig im Gebet zu danken.“13

Damit komme ich zu meiner fünften und letzten Beobachtung, die lautet: Wir werden immer so glücklich sein, wie wir auch dankbar sind.

Der Herr hat erklärt: „Und wer alles mit Dankbarkeit empfängt, der wird herrlich gemacht werden.“14 Das liegt vielleicht daran, dass Dankbarkeit eine Vielzahl an Tugenden nach sich zieht.

Wie würde sich unser Bewusstsein wandeln, wenn wir jeden Morgen nur mit den Segnungen aufwachen würden, für die wir am Abend zuvor dankbar waren? Wenn wir unsere Segnungen nicht zu schätzen wissen, kann die Folge davon Unzufriedenheit sein, welche uns der Freude und des Glücks beraubt, die durch Dankbarkeit hervorgebracht werden. Die Menschen im großen und geräumigen Gebäude locken uns, über das Ziel hinauszuschauen, wodurch wir das Ziel gänzlich verfehlen.

Doch tatsächlich liegen das größte Glück und der größte Segen des Erdenlebens darin, wer wir durch Gottes Gnade geworden sind, wenn wir heilige Bündnisse mit ihm schließen und halten. Unser Erretter wird uns durch die Verdienste seines Sühnopfers veredeln und läutern und hat über diejenigen, die ihm bereitwillig nachfolgen, gesagt: „Sie werden mein sein an jenem Tag, da ich komme, meine Juwelen herzurichten.“15

Ich verheiße Ihnen: Wenn wir unser Leben auf Jesus Christus als Grundlage bauen, unsere wahre Identität als Söhne und Töchter Gottes wertschätzen, an den Wert einer Seele denken, uns den Blickwinkel der Ewigkeit bewahren und für unsere vielen Segnungen dankbar sind, vor allem für die Aufforderung Christi, zu ihm zu kommen, dann können wir das wahre Glück finden, das wir in diesem irdischen Abenteuer suchen. Das Leben wird dennoch Herausforderungen bereithalten, aber wir werden in der Lage sein, uns einer jeden besser zu stellen – bewusst und mit innerem Frieden, weil wir die ewigen Wahrheiten verstehen und danach leben.

Ich bezeuge Ihnen, dass Gott, unser liebevoller Vater, und sein geliebter Sohn Jesus Christus wirklich leben. Ich lege auch Zeugnis für lebende Propheten, Seher und Offenbarer ab. Welch ein Segen ist es doch, durch sie Rat aus dem Himmel zu empfangen. Wie es auch der Erretter klar ausgedrückt hat: „Sei es durch meine eigene Stimme oder durch die Stimme meiner Diener, das ist dasselbe.“16 Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.