Generalkonferenz
Demütig anerkennen und folgen
Herbst-Generalkonferenz 2023


Demütig anerkennen und folgen

Demut ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass wir in die Gegenwart Gottes zurückkehren können

In Alma 5 wird eine Frage zur Selbstüberprüfung gestellt: „Könntet ihr, wenn jetzt der Ruf an euch erginge zu sterben, in eurem Innern sagen, ihr seiet genug demütig gewesen?“1 Diese Frage impliziert, dass Demut eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass wir in die Gegenwart Gottes zurückkehren können.

Wir halten uns gern für genug demütig, aber einige Lebenserfahrungen machen uns dann doch bewusst, dass der natürliche stolze Mensch in uns oft sehr lebendig ist.

Vor Jahren, als unsere beiden Töchter noch zuhause wohnten, beschloss ich, ihnen und meiner Frau die Abteilung zu zeigen, die ich in der Firma, bei der ich angestellt war, leitete.

In Wirklichkeit wollte ich ihnen jedoch einen Ort zeigen, wo jeder genau das machte, worum ich ihn bat, ohne Fragen zu stellen – ganz im Gegensatz zu zuhause. Als wir beim Tor ankamen, das sich beim Nähern meines Autos normalerweise automatisch öffnete, war ich überrascht, dass es dieses Mal nicht aufging. Stattdessen kam ein Wachmann, den ich noch nie gesehen hatte, zum Auto und fragte nach meinem Firmenausweis.

Ich antwortete ihm, ich bräuchte nie einen Ausweis, um auf das Grundstück zu fahren, und stellte ihm dann hochmütig die klassische Frage: „Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie da reden?“

Er erwiderte: „Nun, da Sie Ihren Firmenausweis nicht dabeihaben, kann ich nicht wissen, wer Sie sind, und solange ich an diesem Tor bin, dürfen Sie das Gelände, ohne sich ausweisen zu können, nicht betreten.“

Ich spielte mit dem Gedanken, in den Rückspiegel zu schauen, um die Reaktion meiner Töchter zu sehen, aber ich wusste, dass sie jede Sekunde dieses Vorfalls genossen! Meine Frau neben mir schüttelte voller Missbilligung meines Verhaltens den Kopf. Als letztes Mittel entschuldigte ich mich also bei dem Wachmann und erklärte ihm, es tue mir sehr leid, dass ich ihn so schlecht behandelt hatte. „Schon gut“, meinte er, „aber ohne Firmenausweis kommen Sie heute nicht herein!“

Daraufhin fuhr ich sehr langsam nach Hause zurück, um meinen Ausweis zu holen. Ich hatte hoffentlich etwas Wertvolles gelernt: Wenn wir uns dafür entscheiden, nicht demütig zu sein, werden wir letztendlich gedemütigt.

In den Sprichwörtern steht: „Hochmut erniedrigt den Menschen, doch der Demütige kommt zu Ehren.“2 Um Demut zu entwickeln, müssen wir verstehen, was sie im Sinne des Evangeliums wirklich bedeutet.

So mancher verwechselt Demut mit etwas anderem, wie etwa mit Armut. In Wirklichkeit gibt es aber viele, die arm und stolz sind, und auch viele, die reich und dennoch demütig sind. Andere wiederum, die sehr schüchtern sind und geringes Selbstwertgefühl haben, können nach außen hin demütig erscheinen, sind tief im Innern aber manchmal voller Stolz.

Was ist Demut also? Der Anleitung Verkündet mein Evangelium! zufolge ist dies die „Bereitschaft, sich dem Willen des Herrn zu fügen … Es bedeutet, belehrbar zu sein. [Demut] beschleunigt geistiges Wachstum ganz entscheidend.“3

Sicherlich bieten sich uns allen viele Gelegenheiten, diese christliche Eigenschaft weiterzuentwickeln. Ich möchte zunächst einmal der Frage auf den Grund gehen, wie demütig wir gewesen sind oder sein sollten, wenn es darum geht, dem Rat unseres Propheten zu folgen. Stellen wir uns als Selbsttest etwa die Fragen:

  • Nennen wir im Umgang mit anderen stets den vollen Namen der Kirche? Präsident Russell M. Nelson hat erklärt: „Wenn wir den Namen des Herrn aus der Kirche des Herrn herausnehmen, ist das ein großer Sieg für den Satan.“4

  • Lassen wir Gott in unserem Leben siegen, indem wir der folgenden, äußerst konkreten Aufforderung unseres Propheten folgen? „Heute rufe ich unsere Mitglieder überall auf, mit gutem Beispiel voranzugehen und Einstellungen oder Verhaltensweisen aufzugeben, die auf Vorurteilen beruhen.“5

  • Überwinden wir die Welt und schenken wir der Lehre Christi mehr Vertrauen als den Philosophien der Menschen, wie unser Prophet dargelegt hat?6

  • Sind wir Friedensstifter geworden und sagen wir zu anderen und über andere Positives? Präsident Nelson hat uns bei der letzten Generalkonferenz Folgendes vermittelt: „‚Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist‘, was wir über jemanden sagen können – sei es ins Gesicht oder hinter dem Rücken –, dann sollte das unser Maßstab für Kommunikation sein.“7

Dies sind einfache, aber eindringliche Anweisungen. Vergessen wir nicht: Alles, was das Volk des Mose tun musste, um geheilt zu werden, war, zu der Kupferschlange aufzublicken, die er aufgehängt hatte.8 Aber „weil der Weg so einfach war, ja, weil er so leicht war, gab es viele, die zugrunde gingen“9.

Bei dieser Konferenz haben wir den unermüdlichen Rat unserer Propheten und Apostel gehört und werden ihn weiterhin hören. Dies ist eine perfekte Gelegenheit, Demut zu entwickeln und unsere feste Meinung der noch festeren Überzeugung weichen zu lassen, dass der Herr durch diese erwählten Führer spricht.

Vor allem müssen wir, wenn wir Demut entwickeln, auch begreifen und anerkennen, dass wir Herausforderungen nicht aus eigener Kraft überwinden und unser volles Potenzial nicht bloß durch eigene Anstrengung erreichen können. Motivationsredner, Autoren, Trainer und Influencer rund um die Welt, besonders auf digitalen Plattformen, behaupten, dass alles ausschließlich von uns und unserem Handeln abhängt. Die Welt glaubt an den Arm des Fleisches.

Durch das wiederhergestellte Evangelium haben wir jedoch erkannt, dass wir in großem Maße auf das Wohlwollen des Vaters im Himmel und das Sühnopfer unseres Erretters Jesus Christus angewiesen sind, „denn wir wissen, dass wir durch Gnade errettet werden, nach allem, was wir tun können“10. Deshalb ist es so wichtig, Bündnisse mit Gott zu schließen und diese zu halten, denn wenn wir das tun, haben wir durch das Sühnopfer Jesu Christi uneingeschränkten Zugang zu seiner Macht, die uns heilt, hilft und vervollkommnet.

Wenn wir jede Woche die Abendmahlsversammlung besuchen, Gott regelmäßig im Tempel verehren und dort an heiligen Handlungen teilnehmen und Bündnisse empfangen und erneuern, zeigen wir damit, dass uns bewusst ist, dass wir auf den Vater im Himmel und unseren Erretter Jesus Christus angewiesen sind. Dadurch lassen wir ihre Macht in unser Leben ein, sodass wir bei all unseren Problemen Hilfe erhalten und letztendlich das Maß unserer Erschaffung erfüllen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden der Grad meiner Demut und mein Verständnis davon, wie sehr ich auf den Herrn angewiesen bin, erneut auf die Probe gestellt. Ich fuhr im Taxi zum Flughafen. Ein Kurzflug sollte mich rasch dorthin bringen, wo eine sehr schwierige Situation zu lösen war. Der Taxifahrer, der kein Mitglied der Kirche war, blickte mich im Spiegel an und meinte: „Es scheint Ihnen heute nicht gut zu gehen!“

„Das haben Sie bemerkt?“, fragte ich.

„Natürlich“, antwortete er. Dann sagte er sinngemäß: „Sie haben nämlich gerade eine sehr negative Aura!“

Ich erklärte ihm, dass ich mich mit einer schwierigen Situation befassen müsse, woraufhin er mich fragte: „Haben Sie denn alles in Ihrer Macht Stehende getan, um das Problem zu lösen?“

Ich erwiderte, dass ich alles getan hatte, was ich konnte.

Seine Antwort habe ich nie vergessen: „Dann geben Sie es in Gottes Hände, und alles wird in Ordnung kommen.“

Ich gebe zu, dass ich versucht war, ihn zu fragen: „Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie da reden?“ Doch das tat ich nicht. Stattdessen wandte ich mich demutsvoll während des gesamten einstündigen Fluges an den Herrn und bat um seine Hilfe. Als ich aus dem Flugzeug ausstieg, erfuhr ich, dass die schwierige Situation, die ich lösen sollte, bereits in Ordnung gebracht worden war und man mich gar nicht mehr vor Ort brauchte.

Brüder und Schwestern, das Gebot, die Aufforderung und die Verheißung des Herrn sind klar und tröstlich: „Sei demütig, dann wird der Herr, dein Gott, dich an der Hand führen und dir auf deine Gebete Antwort geben.“11

Mögen wir demütig sein und dem Rat unserer Propheten folgen und anerkennen, dass nur Gott und Jesus Christus uns – durch heilige Handlungen und Bündnisse, die wir in seiner Kirche empfangen – in diesem Leben in unser bestes Selbst verwandeln können und uns eines Tages dann in Christus vervollkommnen. Im Namen Jesu Christi. Amen.